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Redaktion

Verdammt zum Home Office

Eine kleine Anleitung zur Arbeit im Home Office während der „Corona-Ferien“


Der Traum vom Home Office, den noch im Februar viele teilten, hat sich durch Kontaktverbot, Wohnungszwang und Home Schooling gerade für viele Eltern, Frauen wie Männern, zum Alptraum entwickelt. Doch wie kommen wir trotz Arbeit, Home Schooling und begrenztem Lebensraum produktiv und ausgeglichen durch die Krise? von Natascha Tegeler, Beraterin


Ganz entspannt im Home Office - nur ein Traum?

Noch Mitte dieses Jahres haben einige von uns davon geträumt: Befreit von der Anwesenheitspflicht im Büro und bestens ausgestattet mit MacBook oder Laptop, iPad oder Tablet die eigene Arbeitszeit und den Arbeitsort freier bestimmen zu können. Mal im Home Office zu arbeiten, mal im Büro, mal sonst wo. Die Zeitintervalle angepasst sowohl an den Job, immer aber auch an die ganz privaten Bedürfnisse und Herausforderungen. So zu leben und zu arbeiten, dachten sich viele, das ist der Weg zu einer ausgeglichenen und befriedigenden Life-Balance.

Einige Wochen später hat sich die Situation komplett gewandelt. Wer nicht in den sogenannten systemrelevanten Berufen arbeitet, die die Anwesenheit in Klinik oder Laden, öffentlichem Raum oder Labor erheischen, ist oftmals aus dem Büro verbannt und sehnt sich nach nichts mehr als einem netten Schnack mit den Kolleginnen und Kollegen oder einem Meeting, bei dem alle an einem Tisch sitzen.

Mit Kolleg*innen kreativ im Office - wie schön...

Gerade für Familien oder Männer und Frauen mit kleinen oder schulpflichtigen Kindern verkehrt sich der alte Traum vom Home Office eher ins Gegenteil. Sich morgens gut ausgeruht und vorbereitet an einen liebevoll vorbereiteten Home Office-Platz zu setzen, um hübsch frisiert an einer Videokonferenz teilzunehmen, ist nicht. Kaum hat die Videokonferenz begonnen, schiebt sich ein Kinderkopf ins Bild. Ist endlich der Geschäftspartner für ein wichtiges Gespräch am Telefon, ertönt ein langes und leidendes „Maaaama?!?“ (gefolgt von unaufschiebbaren Bedürfnisäußerungen, Beschwerden über das Geschwisterkind …) und nicht zuletzt müssen die Kinder - ohne Freundeskontakt dafür voller Bewegungsdrang - ganztags beschult und überhaupt unterhalten und versorgt werden.

Was also tun, um auch in der - von gehässigen Zungen „Corona-Ferien“ genannten - Ausnahmesituation nicht zu verzweifeln? Kleine Tipps können helfen.


1. Der liebe Arbeitsplatz

Schaffen Sie sich einen gut ausgestatteten Arbeitsplatz, einen Raum, der nur für Sie und Ihre Arbeit da und getrennt von den privaten Lebensräumen ist - so oder so ähnlich lauten die allgemeinen Tipps für das Home Office. So weit so gut.

Sieht es so in Ihrem Home Office aus?

Doch seien wir ehrlich: Die meisten, die nun ins Home Office geschickt wurden, haben weder die räumlichen Möglichkeiten, sich einen separaten Arbeitsraum einzurichten, noch die nötige Ausstattung - und die ist bekanntlich derzeit auch schwer zu besorgen. Umso wichtiger ist, dass wir uns ganz individuell überlegen, was wir brauchen, um zumindest in Intervallen gut arbeiten zu können. Ist dies Ruhe und Abgeschiedenheit, könnte es sinnvoll sein, sich einen Sessel ins abgelegene Schlafzimmer zu schieben, haben wir es gerne trubelig um uns rum, könnte es der Küchentisch tun. Meine Schwester z. B. sitzt am Liebsten auf dem Sofa, mein Mann hat den Esstisch für sich entdeckt… Hast Du einen Garten oder eine Terrasse, könnte auch dort ein guter Platz für Deine Arbeitszeit sein (so denn das Wetter mitspielt). Wichtig ist aber: Egal, wo Du arbeitest, halte Deine Sachen zusammen, so dass Du die benötigten Utensilien nicht immer neu suchen und zusammentragen musst.

2. Bring Dich in die richtige Verfassung

Wieder eine dieser Home Office-Weisheiten: Tue so, als gingest Du wirklich ins Büro, verbann die Haushose in den Kleiderschrank und zieh Dich passend an. Wie soll das gehen, traben die Kinder hinter uns her und fällt uns daheim die Decke auf den Kopf, fragen sich sicher einige. Und doch: Gerade, weil Lebens- uns Arbeitsraum für viele von uns eins geworden sind, ist es wichtig, sich in eine gute Arbeitsstimmung zu bringen. Vielleicht ist es tatsächlich gut für Dich, Dich wie für das Büro zu kleiden, vielleicht brauchst Du eher zehn oder fünfzehn Minuten Pause, bevor Du den Rechner hochfahren kannst. Welche Routine Dich in eine gute Arbeitshaltung bringt: Befrage Dich, probiere aus und schau, was gut für Dich ist - aber achte am besten darauf, die unterschiedlichen Sphären zumindest gedanklich gut zu trennen.

3. Finde Deine Arbeitsweise

Liebst Du einen streng strukturierten Tag, so stellt die aktuelle Situation sicherlich größere Herausforderungen an Dich, als an die Menschen, die gern flexibel arbeiten. Nimm Dein Bedürfnis nach Struktur ernst, versuche aber gelassen mit ihm umzugehen. Geben die Kinder gerade keine Ruhe oder wirst Du selber von Unlust oder Ängsten getrieben, lass den Schreibtisch sein und räum erst einmal lieber die Spülmaschine aus oder mach was Nettes mit den Kindern. Denn das Gute am Homeoffice ist doch, dass Du Deine Arbeitszeit nicht im Stück abarbeiten musst, sondern in Intervallen arbeiten kannst. Welche für Dich und Deine Familie passend sind, hast Du schnell herausgefunden. Meine Kinder (fünf und sieben) z. B. trotten mit stoischer Regelmäßigkeit nach 50 Minuten zu mir an den Schreibtisch.

Auch wenn Dich der sich ständig anpassende Tagesablauf anstrengt, denk daran: Finden wir einen für uns und die Familie passenden Rhythmus, arbeiten wir allemal produktiver, als wenn wir auf Teufel komm raus versuchen, unsere Vorstellung durchzudrücken.

4. Ein bisschen Struktur tut gut

Die meisten von uns - und insbesondere Kinder - lieben ein gewisses Maß an Kontinuität und Struktur, die uns Sicherheit geben. Was generell für das Home Office gilt, gilt jetzt ganz besonders: Strukturiere Deinen Tag immer ähnlich, d. h. steh immer zu der gleichen Zeit auf, entwickle mit Deiner Familie eine neue Morgenroutine, halte die Essens- und Schlafengehzeiten ein, so dass gar nicht erst der Eindruck von Ferien entsteht. Hast Du Schulkinder, verabrede mit ihnen eine feste Lernroutine. Damit das Ganze auch gelingt, beziehe am besten alle Familienmitglieder ein. Dies geht mit größeren Kindern sicherlich einfacher, aber auch mit ganz Kleinen kann schon etwas verhandelt werden.


Das Überraschende dabei: Es ist frappierend, wie schnell auch kleine Kinder es wieder lernen, die Freispielzeit phantasievoll zu nutzen, und wie gut sie sich an Absprachen halten können, in denen ihre Bedürfnisse ebenso Berücksichtigung finden, wie die der Erwachsenen. Hast Du eine*n Partner*in, kann es darüber hinaus entlastend sein, zu schauen, wer wann und wie am besten arbeiten kann, und Verabredungen darüber zu treffen, wer wann für Kinder und Co. oder andere Dinge wie den Haushalt zuständig ist. Die wenigsten Paare haben nämlich die gleichen Arbeitspräferenzen.

5. Trenne die Bereiche zeitlich

Obwohl dies kaum ein Arbeitgeber fordert neigen viele von uns auch in „normalen“ Zeiten dazu, 24/7 online zu sein, weshalb schon aus gesundheitlichen Gründen eine strikte zeitliche Trennung des Arbeits- und Privatlebens empfohlen wird. Und diese ist umso wichtiger, wenn es keinerlei räumliche Trennung der Arbeit vom restlichen Leben mehr gibt. Hast Du Deine Arbeit an einem Tag so gut wie möglich erledigt? Super! Aber vergiss auch dann, wenn es mal nicht so rund läuft, nicht: Zu einer Work-Life-Balance gehört auch in Krisenzeiten der Life-Teil - auch wenn die Balance insgesamt sicher gänzlich aus den Fugen geraten ist.


Daher: Bist Du fertig oder ist Deine Zeit um, fahre den Rechner runter und schalte die Benachrichtigungen auf Deinem Smartphone aus. Um die nächste Zeit - psychisch - unbeschadet zu überstehen, ist es unabdingbar, auch was für Dich zu tun: Entspannt Dich eine Basteleinheit mit den Kindern? Musst Du Dich mal mit einem Buch zurückziehen? Findest Du eine virtuell angeleitete Sporteinheit gut? Sieh zu, dass Dich bei all diesen Dingen zumindest nicht auch noch Smartphone und Co. ablenken.

6. Sag Tschüß zum Perfektionismus

In der derzeitigen Situation wird mit großer Wahrscheinlichkeit immer irgendwas zu kurz kommen: die Arbeit, die Kinder, der/die Partner*in, der Haushalt, wir selber… Daher lasst uns doch endlich das trotz aller Kritik gerade für viele Frauen immer noch handlungsleitende Rollenbild der erfolgreichen, ökologisch denkenden und sexy aussehenden Supermum verabschieden. Ja: Um eine Videokonferenz erfolgreich hinter uns zu bringen, parke auch ich meine Kinder mal vor dem Fernseher. Aus Zeitnot oder weil ich keine Lust habe, mit Mundschutz einkaufen zu gehen, gibt es auch öfter mal Fastfood. Die Wäsche mag sich im Korb stapeln, die Powerpoint-Präsentation nicht perfekt aussehen und ich mit Augenringen vorm Rechner sitzen. Vermutlich ist es bei jedem/r von allem ein bisschen - von allem, dass nicht so gut wie „normalerweise“ ist und läuft. Aber „normal“ ist derzeit eh wenig. Also: Verabschiedet Euch vom Perfektionismus - auch für die Zeit „danach“. Und seid unbesorgt: Spätestens in drei Wochen wird niemand mehr perfekt frisiert in der Videokonferenz auftauchen… Und überhaupt: Sei Dir sicher, dass es vielen Deiner Geschäftskontakte gerade ganz ähnlich geht wie Dir.

7. Priorisiere konsequent

Und seien wir ehrlich: Kaum eine Arbeitsaufgabe - mit Ausnahme von verabredeten Telefon- oder Videokonferenzen - ist bei den Meisten von uns, also die ohne die systemrelevanten Berufe, derzeit gleichzeitig so dringend oder wichtig, dass sie nicht um die ein oder andere Stunde aufgeschoben werden könnte. Rufen wir uns doch noch einmal das alte Eisenhower-Prinzip in Erinnerung, in dem Aufgaben nach Dringlichkeit und Wichtigkeit kategorisiert wurden und wenden das Ganze auf unsere neue Arbeits- und Lebenssituation an: Bin ich allein mit den Kindern und diese dem Hungertod vermeintlich nah, ist deren Bedürfnis nach Essen sowohl dringend wie auch wichtig und muss sofort erledigt werden - schließlich wird kein Elternteil auch nur eine ruhige Minute zum Arbeiten haben, sitzen die Kinder missgelaunt vorm Schreibtisch. Geht es aber z. B. darum, die Kinder mit Obst zu versorgen, weil sie da gerade Lust drauf haben (das Ganze also nicht so wichtig ist), könnte die Aufgabe auch an das ältere Kind delegiert werden. Ihr versteht, worauf ich raus will? Viele von uns sind sowohl in ihrer Rolle als Arbeitnehmer*innen wie auch als Elternteil sehr darauf gepolt, von außen an uns herangetragene Bedürfnisse stante pede zu erfüllen, so dass wir immer glauben gleich los spurten zu müssen. Das Eisenhower-Prinzip konsequent anzuwenden und zu leben, kann uns da sehr entlasten und helfen, neue Prioritäten zu finden und zu setzen.

8. Triff klare Absprachen mit Deinem Arbeitgeber

Mein Eindruck ist es, dass derzeit viele Arbeitnehmer*innen versuchen, in der gegebenen Situation das Gleiche zu leisten, wie vor der Krise, Kontaktsperre und Home Office. Dass dies gerade dann illusorisch ist, wenn die Kinder beschult, Arrangements mit dem Partner/der Partnerin getroffen werden müssen, dürfte selbstverständlich sein. Und was innerhalb der Familie gilt, gilt umso mehr, wenn es um die Arbeit geht: Kommuniziere Deine Situation transparent - es wird im Betrieb eh nicht nur Dir so gehen - und hole ein, welche Erwartungen an Dich gestellt werden. Ehrliche Kommunikation und klare Absprachen schaffen Sicherheit. Sie schützen Dich vor imaginierten Erwartungen und auch dann, wenn Du Deine Leistung nicht nicht so einbringen kannst wie eigentlich erwartet.

9. Schaffe Alternativen

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung stand kürzlich geschrieben, dass mit der Kontaktsperre die Zeit der Introvertierten angebrochen sei. Diese liefen - ungestört im Home Office arbeitend - zu echter Hochform auf und lieferten super Arbeitsergebnisse. Statistisch ist es aber nun leider so, dass ein Großteil der Bevölkerung den persönlichen Austausch mit anderen Menschen braucht, um gut arbeiten - und leben - zu können. Daher ist es insbesondere für die sehr extrovertierten Menschen unter uns unerlässlich, Alternativen für anregenden sozialen Kontakt zu schaffen. Videokonferenzen schaffen sicherlich teilweise Abhilfe. Telefonate sind hilfreich. Für die explizit extrovertierten unter uns wird trotzdem ein Mangel an sozialem Austausch bestehen - also schafft auch im Privatem weiter gehenden Austausch: Ein virtuelles Essen mit Freunden kann uns Erwachsene ebenso erfreuen wie die Kinder ein regelmäßiger Videocall mit den ihren.

10. Nutze die Situation, um neue und alte Dinge zu entdecken

Wie die Kinder das Freispiel neu entdecken, so könne auch wir Erwachsene altbekanntes neu beleben oder in der Familie neue Dinge zusammen entdecken: richtig ausgiebig zusammen kochen, aus Zeitungen Puzzle basteln, daheim richtig schön umräumen, miteinander Bücher lesen, Filme schauen, Geschichten erzählen, eigene Familientagebücher verfassen … All das und noch viel mehr können wundervolle Dinge sein, um die Zeit miteinander nicht nur rumzubringen, sondern zu genießen - und sie entschädigen uns zudem für die wegfallenden sozialen Kontakte.

Und zum Trost: Wenn Du es trotz Kontaktsperre, fehlender „Quality Time“ mit Dir selber und erzwungenem Home Office schaffst, das Leben in Balance zu halten, dann kannst Du diese - vielleicht neu erworbenen - Fähigkeiten, Einsichten und Lebensweisen auch dann noch nutzen, wenn die Krise vorbei ist. Ich freue mich drauf.

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