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Lockdown 1.0 – Digitale und agile Führung als Notwenigkeit

Die Server wurden aufgestockt, das Gros der Mitarbeiter*innen mit mobilen Endgeräten ausgestattet, neue Kommunikationswege gesucht, gefunden und installiert. Technisch wurde in vielen Unternehmen im Corona-Virus-Lockdown in kurzer Zeit möglich gemacht, was gerade kleine und mittlere Unternehmen sich nie hätten träumen lassen. Doch viele Unternehmen klage darüber, das Gefühl zu haben, die Mitarbeiter*innen seien nur noch wenig erreichbar, ihr Tun sei unklar und die Anbindung ans Unternehmen schwände zusehends. Zeit also, sich Gedanken darüber zu machen, wie Führung auf Distanz eigentlich – auch zu Zeiten des erzwungenen Homeoffice – funktioniert. von Natascha Tegeler, Beraterin



In vielen Bundesländern wird die Kontaktsperre nun aufgehoben und die verschiedenen Unternehmen bereiten sich darauf vor, ihre Mitarbeiter*innen wieder im Büro willkommen zu heißen. Eine Rückkehr zum normalen Arbeitsleben ist aber auch jetzt noch nicht in Sicht: Wie im Supermarkt und im Park wird auch im Büro ein gebührender Mindestabstand einzuhalten sein, neue Hygienestandards müssen etabliert werden. Und das noch über Monate, so Gesundheitsminister Spahn.

Doch nicht nur in der Politik und der Epidemiologie werden Stimmen gegen eine allzu konsequente Rückkehr zum „normalen“ Arbeitsleben laut: Auch unter den Arbeitnehmer*innen mehren sich die Stimmen derer, die damit - auch auf Dauer - gar nicht einverstanden wären. In Sachen Arbeit 4.0 haben viele nämlich Morgenluft geschnuppert. Zumindest zeitweise unabhängig von Zeit und Ort zu arbeiten, war schon vor dem durch die Politik verordneten Lockdown eine attraktive Vorstellung für viele. Und aus diesem Grund sind viele nicht dazu bereit, auf das, wovon sie lange geträumt und nun unfreiwillig erhalten haben, wieder zu verzichten. Selbst die Mutter der Autorin verkündete schon, dass sie nach 35 Jahren im öffentlichen Dienst keinesfalls gewillt ist, wieder 40 Stunden pro Woche das Büro zu hüten. 


Der sogenannte Reboarding-Prozess - gewöhnlich wird so der Wiedereinstiegsprozess nach Elternzeit oder anders begründeter längerer Abwesenheit bezeichnet - wird in den nächsten Monaten auch für kleine und mittelständische Unternehmen die Herausforderung bereit halten, die (Zusammen-) Arbeit auf ganz neue Art zu organisieren. Denn schließlich gilt nun auch für eher technikferne oder gar technikkritische Unternehmen, dass die Digitalisierung nicht mehr nur die Zukunft bestimmen wird, sondern bereits in der Gegenwart unverzichtbar geworden ist. Es wird zu überlegen sein - schon zum Schutz der Belegschaft - wie sich Remote-Arbeit und Vor-Ort-Präsenz verbinden lassen, wie sich die Kolleg*innen vor Ort mit denen im Homeoffice vernetzen lassen. Dies bedeutet: flexibler und dezentraler als bis dato zu führen und zu leiten, d. h. im Endeffekt insgesamt agiler zu agieren. 



Doch was ist eigentlich Agilität? „Agilität ist die Fähigkeit von Teams und Individuen und Organisationen, in einem unsicheren, sich verändernden und dynamischen Umfeld flexibel, anpassungsfähig und schnell zu agieren. Dazu greift die Agilität auf verschiedene Methoden zurück, die es Menschen einfacher machen, sich so zu verhalten.“ (S. 51), schreibt Svenja Hofert in ihrem Buch Agiler führen - Einfache Maßnahmen für bessere Teamarbeit, mehr Leistung und höhere Kreativität; Gabler Verlag, 2018.


Was eigentlich für die Produktentwicklung galt, macht - übertragen auf die derzeitige Situation - auch jetzt Sinn: Es sind nicht nur die Anforderungen an das Produkt, sondern die Arbeitsumstände selber, die sich verändern und dabei unsicher und dynamisch sind.


Führung im agilen Verständnis ist folgerichtig auch nicht die Weisungsmacht über die Arbeitszeit anderer Menschen, sondern Führung wird als Rolle verstanden, „die definierte Aufgaben beinhaltet. Es geht also nicht um die Ausstattung einer Funktion mit ‚Macht‘, sondern um die Zuweisung von Aufgaben zu Rollen.“ (Hofert, S., S. 51f) Führung im agilen Verständnis meint daher die Einflussnahme auf die Richtung von Arbeit inklusive der Bereitstellung der benötigten Rahmenbedingungen. Dies bedeutet für die Leitungskräfte von Unternehmen, dass eine andere Art von Führung nötig wird, als viele es in ihrem Leben in klassisch geführten Unternehmen gelernt haben. Das gute und erleichternde daran: Die Führungskraft muss keine "eierlegende Wollmilchsau" mehr sein, sondern kann sich auf eigene Kernkompetenzen konzentrieren, wie etwa die, verschiedene Perspektiven - Kund*innen, Stakeholder, Mitarbeiter*innen - in Einklang zu bringen.   Doch was macht eigentlich gute agile oder auch digitale Führung aus?

  1. Die Schaffung von Rollentransparenz: Jede und jeder sollte wissen, was genau seine / ihre Rolle ist, und diese Rolle sollte schriftlich fixiert und klar formuliert sein. „Anstatt eine Funktion auszuüben, nimmt der Mensch, auch die Führungskraft, eine Rolle ein. Diese Rolle ist mit Aufgaben und Verantwortungsbereichen konkret beschrieben. Insofern lässt sich das Rollenkonzept durchaus mit Schauspielerei vergleichen.“ (Hofert, S., S. 52) So ist auch die Führungsrolle eine, in die eine Person neben anderen Rollen schlüpfen kann. Diese Rolle ähnelt oft eher der eines Coaches oder Moderators, der temporär in Teams aktiv ist und eine eher verbindende und begleitende als direkt steuernde Rolle übernimmt. 

  2. Die Einbeziehung von Vielen in Entscheidungen: Viele Unternehmensprozesse sind über die Jahre in einem Maß komplex geworden, dass es für eine Person schwierig ist, in wirklich allen Fragen Expert*in zu sein. Aus diesem Grund sollte das Wissen und die Kompetenz vieler, die sogenannte Schwarmintelligenz, in die Entscheidungsfindung einfließen. Ein oftmals gemachter Denkfehler ist hier, dass in agil geführten Teams Entscheidungen basisdemokratisch getroffen werden. Zumeist obliegt die tatsächliche Entscheidung aber weiterhin einer Person oder einem Gremium, zu deren Rolle eben auch das Treffen von (übergeordneten) Entscheidungen gehört. 

  3. Die Einbeziehung von Vielen in die Unternehmensmission und -vision: Ist das allgemeine gute Gefühl miteinander zu arbeiten aufgrund räumlicher oder zeitbedingter Distanz nicht mehr gegeben, ist es umso wichtiger, die intrinsische Motivation aller Menschen im Unternehmen durch die Beteiligung an einer lebendigen Unternehmenskultur, die der Unternehmensvision oder -mission entspricht, zu stärken. Beruht diese auf einem Konsens, so ist sie auch dann motivationsleitend, wenn im Homeoffice vielleicht einmal das Gefühl von Sinnlosigkeit oder Einsamkeit aufkommt. 

  4. Die Schaffung von klaren Kommunikationsprozessen: Gerade wenn viele Menschen an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten arbeiten, ist es wichtig, klare Regeln für die Kommunikation aufzustellen. Hierzu gehört zum einen die direkte Kommunikation miteinander - in Zeiten des Lockdowns gezwungenermaßen via Videocall - in die Balance zu der Kommunikation über digitale Kanäle zu bringen. Ziel ist es, das Team effektiv zu vernetzen - nach innen wie außen. Viele Teams verabreden sich z. B. in einem bestimmten Zyklus - täglich, alle zwei Tage … - zu so genannten Stand-up-Meetings, in welchen in kurzer pointierter Form der Stand der Dinge besprochen und weitere Schritte festgelegt werden. So wissen alle genau, was die anderen gerade machen und was die eigenen Aufgaben sind. Regelmäßige Meetings in kurzen Abständen haben darüber hinaus den Vorteil, schnell auf sich ändernde Vorgaben reagieren zu können. Zudem ist es immer sinnvoll, die Kommunikationsprozesse in einem Tool zu bündeln. So wissen alle, wo sie die notwendigen Informationen finden, was die allgemeine Informationsflut, die die Nutzung verschiedener Kanäle nach sich zieht, eindämmt. Ob dies ein Projektmanagementtool mit Messenger-Dienst ist oder eine andere Lösung, muss jedes Unternehmen und Team für sich entscheiden. Das hängt sicherlich auch von der Art der zu erbringenden Arbeit ab. 

  5. Förderung des selbstverantwortlichen Arbeitens: In vielen klassisch geführten Unternehmen obliegt die Verantwortung für die Ziele und die Arbeitsergebnisse der Führungskraft, die eine kontrollierende und direkt antreibende Rolle innehat. Eine solche Arbeitsweise ist ohne direkten Kontakt schwer möglich. Aus diesem Grund ist es wichtig, als agile oder digital agierende Führungskraft die Selbstverantwortung zu fördern. Dies ist am Einfachsten über die Schaffung einer vertrauensvollen Arbeitskultur möglich, die über das Erreichen gemeinsamer Ziele, Einhalten von Zusagen, Authentizität und Glaubwürdigkeit geschaffen wird. Um eine auf Vertrauen basierende selbstverantwortliche Zusammenarbeit zu fördern, ist darüber hinaus die Förderung einer neuen Fehlerkultur essentiell. Wer ständig Angst davor hat, einen Fehler zu begehen, wird schwerer selbstverantwortlich arbeiten als derjenige oder diejenige, in deren Firmenkultur Fehler als Chance zum Lernen begriffen werden. 

  6. Die Etablierung einer unmittelbaren Feedbackkultur: Wie sich insbesondere während des Lockdowns gezeigt hat, ist ein unmittelbares Feedback der Motor, um dezentral arbeitende Teams im Flow zu halten. Muss wochenlang auf Feedback gewartet werden, oder wird dieses gegen alle gängigen Feedbackregeln gegeben, stocken Prozesse und sinkt die Motivation aller Beteiligten. Ob beim täglichen Stand-up oder kurz vor Feierabend. Konstruktiv und wertschätzend vorgetragenes Feedback ist für dezentral und zeitlich unterschiedlich arbeitende Teams und Einzelne einer der Motoren. 

  7. Wahrnehmung der Fürsorgepflicht: Insbesondere während des Lockdowns, aber insgesamt in der Arbeit mit zeitlich wie örtlich flexibel arbeitenden Teams ist es - der Erhaltung der physischen und psychischen Gesundheit wegen - essentiell für die Arbeitgeberseite, ihre Fürsorgepflicht ernst zu nehmen. Hierzu gehören die Vorgabe klarer Regeln zur Arbeitszeit ebenso, wie die Schaffung der Möglichkeit, an Schulungen zum Zeitmanagement, digitalen Gesundheitskursen usw. teilzunehmen.


Keine leichte Aufgabe mögen Sie denken? Das stimmt! Aber ist die Struktur einmal geschaffen, ergibt sich vieles von selber. Am Wichtigsten ist es, den Veränderungsprozess offen und voller Zuversicht anzugehen und die einzelnen Schritte transparent zu kommunizieren. Denn auch als agile oder digitale Führungskraft fungieren Sie als Vorbild - und dabei ist es wie mit Kindern: Was Führungskräfte authentisch und glaubhaft vorleben, wird gern übernommen. Und außerdem: War ihre bisherige Führungsrolle als Universalexpert*in, Motivator*in, Richtungsgeber*in, Controller*in, Organisator*in, Moderator*in etc. etwa einfach?

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